Vorschau

Fischerhude - Dorf der Künstler

Ausstellung vom 5. Mai - 20. Oktober 2024

Die Entdeckung Fischerhudes durch Otto Modersohn und Fritz Overbeck im Jahr 1896, die späteren sonntäglichen Ausflüge der ersten Worpsweder Künstler und die Übersiedlung Modersohns erweckten lange und dauerhaft den Anschein, dass Fischerhude eine Dependance der Worpsweder Künstlerkolonie wäre.

Das wurde oft auch von „höherer Stelle“ so gesehen, zum Beispiel in Büchern über den berühmteren Künstlerort Worpswede, die von ehemaligen Museumsdirektoren wie Günter Busch oder Gerhard Wietek verfasst wurden.

Sie ordneten die Fischerhuder Künstlerinnen und Künstler ohne weitere Bemerkung der Worpsweder Kunstgeschichte zu. So blieb Fischerhude über lange Jahre hinweg ein Geheimtipp und ein Ort für Entdeckungen und Überraschungen.

Bertha Schilling (1870-1953), Gehöft in Fischerhude, um 1940, Lilienthaler Kunststiftung

Die Kunstgeschichte dieses Dorfes ist denn auch erst um 1987 mit der Gründung des „Fischerhuder Kunstvereins“ auf Initiative des Fischerhuder Malers Wolf-Dietmar Stock aufgerollt worden. 

Otto Modersohn (1865-1943), Winterfreuden in Fischerhude, um 1930, Lilienthaler Kunststiftung
Rudolf Franz Hartogh (1889-1960), Selbst mit Stillleben, um 1948, Lilienthaler Kunststiftung

In einem im gleichen Jahr erschienen Künstlerlexikons sind schon 60 Künstlerinnen und Künstler aufgeführt. Seitdem wissen wir, was man vorher nur ahnte, dass Fischerhude eine ähnlich lange Tradition wie Worpswede hat, die sich aber gründlich von der Entwicklung jenes Dorfes abhebt. 

Der Zuzug Otto Modersohns 1908 nach Fischerhude und seine dritte Heirat mit einer der sechs Töchter des bis dahin einzigen Fischerhuder Malers Heinrich Breling hat sicher lange das Bild vom „stillen Dorf“ geprägt. 

Aber auch die Nähe zu Bremen-Oberneuland oder Bremen-Schwachhausen bewirkte, dass schon um 1900 viele wohlhabende Bremer Fischerhude eher für die damals übliche Sommerfrische nutzte als Worpswede.

So kamen früh ein interessiertes Publikum und Kultur zusammen. Begünstigt wurde das durch die interessante geografische Lage des Ortes mit den vielen durch das Dorf sich ziehenden Flussläufen der Wümme, die sich erst hinter Fischerhude wieder zu einem gemeinsamen Fluss gen Weser vereint.

Damit bot Fischerhude ein großes, neues Spektrum an malerischen Motiven, die sich von den bekannten Worpsweder Sujets abhoben. Das hatten Otto Modersohn und Fritz Overbeck schon am ersten Tag gesehen und das wurde auch in der nun folgenden Entwicklung von anderen Künstlerinnen und Künstlern erkannt.

 

Allerdings entwickelte sich in Fischerhude keine Vereinigung von Künstlern mit Statuten und künstlerischen Zielen wie anfänglich in Worpswede. 

So lebten die erste und auch die folgenden Künstlergenerationen von Architekten, Malern, Grafikern, Fotografen, Bildhauern, Kunstgewerblern, Musikern und Tänzern, Philosophen, Malerinnen und Malern partnerschaftlich und harmonisch ohne jede Verpflichtung einer nach außen zu demonstrierenden Gemeinschaft. 

Wenn eine Gemeinschaft auszumachen wäre, dann die eines ausgeprägten Individualismus der Fischerhuder Künstler – vor allem der, keine Künstlerkolonie zu sein.

 

Heinrich Rohmeyer (1882-1936) Lampionfahrt auf der Wümme, Privatbesitz
Heinrich Breling (1849-1914), Seine Töchter beim Angeln, um 1920, Lilienthaler Kunststiftung

Die Entwicklung Fischerhudes als Künstlerort ist natürlich lang und beginnt mit der Rückkehr des Königlich Bayrischen Hofmalers Heinrich Breling nach dem Tod König Ludwigs II. (1886) in seinen Geburtsort Fischerhude – wo er sich hier künstlerisch neu „erfinden“ musste. Breling war lange der einzige Maler des Dorfes und kann als spiritus rector des Künstlerortes gelten.

In diesen Jahren kamen auch Bernhard Wiegand und der für Fischerhude über Jahre den Ort prägende Maler Wilhelm Heinrich Rohmeyer.

Nachdem 1909 Otto Modersohn seine dritte Ehe einging, zogen Helmuth Westhoff, der Bruder Clara Rilke-Westhoffs hierher, ebenso August Haake, Rudolf Franz Hartogh und Hellmut Müller-Celle.

Sie alle kamen aus Bremen-Oberneuland, einige hatten kurz Malunterricht in Worpswede und entschieden sich dann doch für den ruhigeren Ort Fischerhude. 

Freunde Modersohns, wie Hermann Angermeyer und der Schriftsteller Diedrich Speckmann, bereicherten den Ort zusätzlich.
Bernhard Hoetger überlegte, sich in Fischerhude anzusiedeln, entschied sich aber doch für Worpswede.

Während es in Worpswede ab 1918 turbulent wurde, zogen vor allem Malerinnen ins weiterhin beschauliche Fischerhude. 

Sie suchten keinen Lehrer oder „eine gute Partie“, sondern fügten sich als gut ausgebildete, selbstständige Künstlerinnen in die Künstlergemeinschaft.
Dazu gehören Emma Eibler, Marie Fritsch, Else Pauls, Bertha Schilling, Clara Rilke-Westhoff und die Schriftstellerin Sophie Dorothea Gallwitz.

Der Keramiker Jan Bontjes van Beek kam über die Ehe mit Olga Breling in das Dorf und verlieh diesem durch seine viel bewunderte Keramik weithin Beachtung. 

1933 erwies sich ebenfalls als Wendepunkt: Fischerhude wurde als Möglichkeit gesehen, sich dem staatlichen Druck des Nationalsozialismus zu entziehen. 
Johanna Eißler kam ebenso wie Erhard Mitzlaff und Hans Meyboden, die 1936 aber dann doch direkt vom Ausstellungsverbot betroffen wurden. 

In der Nachkriegszeit kam letztendlich auch der letzte lebende Sohn Otto Modersohns, Christian Modersohn als bekennender Aquarellmaler und vor allem als Gründer eines Museums für seinen berühmten Vater, nach Fischerhude zurück.

 

Mietje Bontes van Beek (1922-2012), Prozession der Müllkönige, 2006, Lilienthaler Kunststiftung
Werner Zöhl (1926 - 2012), Beerensammeln, 2006
Privatbesitz

Dass Fischerhude auch nach 1945 – und bis heute – ein lebendiger Ort für Künstler bleibt, ist an Werner Zöhl zu erkennen.

Über Hans Meyboden erfuhr Werner Zöhl von Fischerhude und sein ausgeprägter Individualismus ließ ihn 1956 in die Abgeschiedenheit der Surheide ziehen und 1964 dort ein eigenes Haus bauen.

Zöhl, erst als Maurer tätig, kam sehr schnell über die ganze Bandbreite der künstlerischen Möglichkeiten zu seinem markanten Stil, Flächen und Farben aneinanderzulegen und ließen seine Arbeiten anfänglich an Franz Klee oder Lionel Feininger denken lassen.

Er schuf sich und dem Betrachter im Laufe der Jahre eine poetische Wirklichkeit, die mal kubischer oder pointilistischer, mal sachlicher und mal geheimnisvoller war. Thematisch wechselte er zwischen Naturbeobachtungen und Stadtansichten, Paaren und Beziehungen.

 Immer wieder entdeckt man in den sanften Farben und weichen Formen den inneren Wunsch nach einer stetigen Harmonie.

So ist vielleicht auch das Bild „Beerensammeln“ zu deuten.

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